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Die Anfänge
Es
geschah kurz nach dem 3. November 1856. Damals bezog die
technische
Abteilung der reorganisierten Berner Kantonsschule gerade ein
neues
Schulhaus
an der Herrengasse (s. neben stehende Abbildung). Karl Edele,
Emil
Frauchiger
und Hermann Kern gründeten unter dem Namen "Zähringia"
einen Schülerverein, um ihrem Bedürfnis nach vermehrter wissenschaftlicher
Betätigung gerecht zu werden. Sie trugen die Farben schwarz-rot-gold
und gaben sich das Motto
Freundschaft und Wissenschaft. Letztere
wurde konkret durch Abhalten von Vorträgen und Diskussionen
durch
die Mitglieder umgesetzt, während man Ersteren durch geselliges
Beisammensein
nach dem ersten Teil einer Sitzung huldigte. Diese wurden
übrigens
in einem Zimmer der Berner Kantonsschule abgehalten.
Die Gründung dieser Verbindung ist durchaus auch vor dem Hintergrund der liberalen Strömungen Mitte des 19. Jahrhunderts zu betrachten. Der Glaube an Fortschritt und Naturwissenschaften liessen als Gegengewicht zu den bestehenden, sprachlich ausgerichteten Literarschulen die technisch-naturwissenschaftlich geprägten Realschulen entstehen. Erwähnenswert sind an dieser Stelle auch die Gründung des Polytechnikums, heute ETH, in Zürich 1855 und die Eröffnung des Bahnhofs in Bern 1857.
Am 9. September 1858 kam es zu einer Wiedereröffnung der Zähringia. Diese wurde nämlich von der Kommission der Berner Kantonsschule aufgelöst, weil die jungen Leute "sich zu burschenartig betragen haben". Die neue Zähringia war bezüglich Statuten, Farben und Motto identisch mit der alten; das Tragen von Vereinsabzeichen wurde ihren Mitgliedern jedoch untersagt. Im Gegensatz zum "Actenbuch" der ersten Zähringia ist dasjenige der wiedereröffneten noch vorhanden.
Die Gleichgesinnten
Von
Beginn weg suchte die Zähringia den Kontakt zu
gleichgesinnten
Verbindungen. Am 10. September 1857 fanden sich unter der
Leitung von
Friedrich
Mühlberg einige Schüler der Kantonsschule Aarau
erstmals
zum so genannten "Kränzli" zusammen. Dieses verfolgte dieselben
Ziele
wie die Zähringia. So kam es zum gegenseitigen Austausch von
Vortragsarbeiten
und schliesslich zum Treffen am 3. Juli 1859 in Olten. Dort
wurde
entschieden,
eine Verbindung mit zwei Sektionen zu gründen. Man einigte sich
auf
den Namen Industria, entschloss sich für die Farben weiss-rot-grün
und wählte die gemeinsame Devise Freundschaft und
Wissenschaft.
Um diese
Neugründung gebührend zu würdigen, dichtete
Hans Bögli v/o Flott und komponierte Joseph Schild v/o Orpheus
das
Farbenlied
der Industria. Am 20. Dezember 1860 wurde also unser
Farbencantus
"Brüder
lasst die Gläser klingen" zu ersten Mal offiziell gespielt und
alsdann
dem Archiv einverleibt. Ausserdem erwarb man ein Trinkhorn,
das
am 29. Juni 1861 feierlich eingeweiht wurde und seither
ebenfalls im
Archiv
lagert. Schliesslich ist noch zu erwähnen, dass 1863 die
Industria
zum ersten Mal im Restaurant Altenberg ihre Kneipen
durchführte.
Der 1. Schweizer Central-Verein Industria
Die Industria Bernensis war somit zusammen mit der Industria Aarau Gründungsmitglied des so genannten Schweizer Central-Vereins Industria. Dieser war der Vorläufer des heute noch existierenden Schweizer Kartells Industria (siehe unten). Der Central-Verein, auch Schweizer Industria oder 1. Zentralverband genannt, war auf Erweiterung bedacht. So kamen zwischen 1859 bis 1868 sechs weitere Sektionen dazu: Industria Zürich, Industria Luzern, Concordia Pruntrut, Industria Freiburg, Neocomia Neuenburg und Minerva Basel. In derselben Zeitspanne verliessen aber fünf Sektionen den Central-Verein wieder, so dass 1868 noch Bern, Basel, Pruntrut und Luzern übrig blieben. Austrittsgrund war mehrheitlich die Verbot der Verbindungen durch die Schulleitungen.
Trotz verschiedener Ein- und
Austritte fanden regelmässig die
halbjährlichen
Zentralfeste
statt. Der erste Tag war jeweils mit Vorträgen der Wissenschaft
gewidmet,
der zweite der Freundschaft. Dabei wurde auch das so genannte
Stechen
des
Landesvaters durchgeführt. Der Austritt der Sektion Pruntrut
veranlasste
auch die Luzerner zum Loslösen vom Central-Verein, was 1869 zu
dessen
Auflösung führte.
Die Fusion
So ganz ohne Austausch mit
Gleichgesinnten wollte die Industria
Bernensis
nicht bleiben. Daher kam es kurz nach der Auflösung des
Central-Vereins
zu vermehrten Kontakten mit der Gymnasia. Sie wurde 1840 am
Höheren
Kantonalen Gymnasium (eine Latein- und Griechischschule, die
1856 zur
Literarabteilung
der Berner Kantonsschule wurde) gegründet. Ihre Farben waren
blau-weiss-blau.
Beide Verbindungen hatten mit Mitgliedermangel und der
Schulkommission
zu kämpfen, so dass
1869 die Industria Bernensis mit der Gymnasia
fusionierte. Dabei gingen Archiv, Schärpen, Fahne und
Trinkhörner
an die Gymnasia über, mit der Bedingung jedoch, bei einer
Neugründung
alles wieder zurückzubekommen.
Die Neu-Industria
Schon im April 1870 war es soweit und die Industria wurde neu gegründet. Wiederum blieben Statuten und Motto gleich, hingegen stellte man dem Zirkel ein "N" voran und änderte die Farbenreihenfolge auf grün-weiss-rot. Um nicht den Zorn der Schulkommission auf sich zu ziehen, unterliess man den zweiten Teil der Sitzungen. Diese fanden, wie ursprünglich, in einem Zimmer der Berner Kantonsschule statt und wurden manchmal sogar durch den Besuch des Rektors oder einzelner Lehrer beehrt.
Es war aber gerade jene Anpassung an
die Vorstellungen der
Schulkommission
und die Lehrerschaft, die zu einer Rückbesinnung auf beide Teile
der
Industria-Idee führten. So entschloss man sich 1875, den Namen
wieder
auf Industria Bernensis und die Reihenfolge der Farben
auf weiss-rot-grün
zurückzuändern. Auch das "N" verschwand aus dem Zirkel.
Der 2. Schweizer Central-Verein Industria
Sechs
Jahre
nach der Auflösung des ersten Schweizer Central-Vereins
Industria
wurde dieser am 7. Februar 1875 in Burgdorf wieder
gegründet.
Man feierte wieder halbjährliche Zentralfeste, hingegen ist auf
wissenschaftlichem
Gebiet sehr wenig Gemeinsames geleistet worden. Nebst den
Gründungsmitgliedern
Zürich, Bern und Luzern kamen neu hinzu die Industria
Lausanne
und die Industria Winterthur. Der zweite Central-Verein
pflegte
ausserdem Kontakte zur Industria Aarau, Industria Zug, Technika
Zürich
und der Industria München.
Doch auch der zweite Central-Verein
scheiterte an seiner wohl etwas
zu zentralistischen Form. So wurden am 20. Juli 1879 die
Vereinsrequisiten
in Bern versteigert und der Erlös unter den verbleibenden
Sektionen
Bern, Lausanne und Luzern aufgeteilt. Aus dieser Zeit stammt
auch die
erste
noch erhaltene Fotogrfie der Aktivitas (s. neben stehende
Abbildung).
Die 1. Inaktivzeit
Ein Problem von Mittelschulverbindungen ist deren kleine Mitgliederzahl. Damals wie heute ist zu beobachten, dass Gymnasiasten, die sich schon vorher kannten, als Gruppe der Industria beitreten. Handelt es sich dabei um Klassenkameraden, die keinen engen Kontakt zu unteren Klassen pflegen und somit keine Neumitglieder nachziehen können, besteht nach Abschluss der Matura die Gefahr der Inaktivität.
Per 1. April 1880 verschmolz die
Berner Kantonsschule mit der
Städtischen
Realschule zum Städtischen Gymnasium. Die Industria
erhoffte
sich dadurch einen Mitgliederzuwachs; leider vergebens. So kam
es zum
ersten
Mal von 1880 - 1884 zur Inaktivität. Und es sollte nicht
das
letzte Mal gewesen sein...
Die 1. Wiedereröffnung
Die Gymnasia hingegen profitierte
von der oben genannten
Neugründung
des Städtischen Gymnasiums und erlebte eine dreijährige
Blütezeit.
Offenbar wurde in dieser Zeit allzu heftig gefeiert, so dass die
Gymnasia
1883 von der Schulkommission verboten wurde. Dies wiederum
förderte
die Bemühung um Wiedereröffnung der Industria. Diese kam
schliesslich
im November 1884 zustande. Auch die Gymnasia gründete
sich
1885 neu, jedoch im Geheimen. Fortan kämpften beide Verbindungen
zusammen
gegen die seitens der Schulkommission drohenden Suspendierungen.
Erleichterung
in diesem Ringen brachte die Gründung der Alt-Industria (siehe
unten).
Die Alt-Industria Bernensis
Ein weiteres Problem von Verbindungen besteht darin, dass deren Mitglieder nach Abschluss des Gymnasiums oder des Studiums sich nicht mehr aktiv am Vereinsleben beteiligen; sie werden zu so genannten Altherren. Eine Mittelschulverbindung trifft dies aufgrund der geringen Mitgliederbestände viel härter als etwa Studentenverbindungen. So löste sich auch die Industria Bernensis, wie wir eben gesehen haben, zeitweilig auf. Um hier einerseits Kontinuität zu schaffen und andererseits das Loslösen der Alten Herren von der Verbindung zu verhindern, wurde 1891 die Alt-Industria Bernensis gegründet. Die Industria Bernensis teilte sich nun fortan in die so genannte Aktivitas, bestehend aus Gymnasiasten, und die Alt-Industria, bestehend aus Maturanden, auf.
Die Alt-Industria hatte
massgeblichen Anteil an der Konsolidierung
der
Aktivitas in den Neunzigerjahren des ausgehenden 19.
Jahrhunderts. Zum
einen besuchten viele Altherren die Anlässe der Aktivitas, was
sich
positiv auf die Mitgliederzahlen auswirkte; so konnte die
Aktivitas
1898
einen Höchststand von 18 Mitglieder aufweisen. Zum anderen
wirkten
die Altherren mässigend auf die Jungen ein, was bei der
Schulkommission
auf Wohlwollen stiess. Zu erwähnen ist hier noch die Revision
des
Comments 1894.
Der Schweizer Central-Verband Industria
In den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts schlossen sich die Titania Winterthur, die Technika Winterthur, die Technika Zürich und die Minerva St. Gallen zusammen. Man sprach damals von einem Zentralverband Schweizerischer Techniker-Vereine. Im Zentrum standen die gemeinsamen geselligen Anlässe. Obschon dieser Freundschaftsbund in den 90er Jahren langsam versandete, blieben die Kontakte erhalten. Aus diesen ergab sich schliesslich am 6. Oktober 1901 die Gründung des Schweizer Central-Verbands Industria in Nidelbad bei Zürich. Gründungsmitglieder waren die Minerva St. Gallen, die Technika Zürich, die Minerva Winterthur (vormals Technika Winterthur), die Industria Aarau, die Industria Bernensis und die Minerva Basel. Später kam noch die Industria Neuchâtel hinzu.
Doch der junge Verband hatte schon
bald Schwierigkeiten. Die
Technika
Zürich und die Minerva Winterthur lösten sich auf. Die
Industria
Aarau trat aus dem Verband aus und die Industria Bernensis
musste "auf
Druck von oben" ebenfalls ihren Austritt bekannt geben. Die
Wende wurde
aber durch die Aufnahme der Industria Luzern
eingeläutet.
Zusammen
mit den drei verbleibenden Verbindungen reorganisierte sie den
Central-Verband.
50 Jahre Industria Bernensis
Am 22. September 1906 wurde im grossen Saal des Restaurants "Linde" das 50. Stiftungsfest begangen. Gegen 250 Teilnehmer konnten dabei erstmals dem Industrianermarsch lauschen. Dieser wurde 1891 durch Hans Eggimann v/o Orpheus komponiert und am Fest unter dessen Leitung durch ein eigenes Orchester vorgetragen.
Die folgenden Jahre waren wiederum
geprägt vom Hin und Her mit
den Schulorganen. So wurde die Industria Bernensis 1910 von der
Schulkommission
suspendiert. Deren Aufhebung im Frühjahr 1911 wurde dann im
Restaurant
"Altenberg" gebührend gefeiert. Dieses wurde übrigens im Juni
1912 durch eine von einem Konkneipanten, Patru Etienne,
gespendete
geschnitzte
Biertafel
(s. Abbildung unten) verziert. Ein anderer Konkneipant,
Bildhauer Kunz,
hatte sie damals erschaffen. Heute ist sie im Archiv zu
besichtigen.
Das Schweizer Kartell Industria
Die vier Verbindungen des Schweizer CentralVerbands Industria trafen sich am 26. November 1911 in Aarau zwecks Umbenennen des Verbandes in Schweizer Kartell Industria. Kurz zuvor wurde die Titania Winterthur aufgenommen. Der ideelle Zweck des Kartells lautete: Freundschaft, Austausch von Ideen und gemeinsame Verteidigung zugunsten der Mittelschulverbindungen. Die zentralistischen Statuten bannten die Gefahr mangelnder Festigkeit ebenso wie die Herausgabe eines gemeinsamen Zentralblattes.
Das Schweizer Kartell Industria kann
auf eine wechselvolle
Geschichte
zurückblicken; starb es in den 30er Jahren fast aus, trafen sich
zu
dessen 50jährigem Jubiläum etwa 300 Aktive und Altherren. Um
Kontinuität zu erhalten, wurden die Altherren-Verbände als
eigentliche
Mitglieder des Kartells eingesetzt. Heute sind folgende
Verbindungen im
Kartell: Technika Basilensis, Minerva St. Gallen,
Industria
Neuchâtel, Industria Luzern und die Industria
Bernensis.
Der 1. Weltkrieg
Die
Industria
Bernensis pflegte in dieser Zeit keinen Kontakt zum
Schweizerischen
Kartell Industria. Hingegen traf man sich regelmässig mit den
Verbindungen
Gymnasia
Bern und Bertholdia Burgdorf und schloss sich am
20. Mai
1914
zu einem eigenen Kartell zusammen. Doch die Kriegszeit
war auch
für die Industria Bernensis schwierig: einerseits wurden
Altherren
zum Militärdienst eingezogen, andererseits wurden Aktive vom
Rektorat
suspendiert. So trug man das Kartell im Dezember 1916
stillschweigend
zu
Grabe, ohne aber den Kontakt zur Gymnasia und Bertholdia
aufzugeben.
Neben
stehende Abbildung zeigt die Aktivitas im Jahre 1917.
Die 2. Inaktivzeit
Die Industria Bernensis kränkelte
weiter. Man diskutierte
Reformpläne;
so sollte beispielsweise der Comment durch einen "Leitfaden"
ersetzt
werden.
Während man weiter diskutierte schmolz die Aktivitas 1919 auf
drei
Mitglieder zusammen wobei zwei inaktiv waren. Die Sportbewegung
öffnete
der Jugend neue Möglichkeiten, und die sich vollziehende
geistige
Umstellung nach dem Krieg liess die jungen Leute gegenüber
allem,
was nach Tradition aussah, eine skeptische Haltung einnehmen.
Und so
wurde
die Industria Bernensis von 1920 - 1922 zum zweiten Mal
inaktiv.
Die 2. Wiedereröffnung
Im Spätsommer 1922 konnte
durch die Bemühungen des
Vorstandes der Alt-Industria mit fünf Aktiven der Betrieb wieder
aufgenommen
werden. Im Dezember gleichen Jahres wurde die 1000. Sitzung der
Aktivitas
feierlich begangen. Weitere Bemühungen seitens der Altherren,
insbesondere
durch Vorträge, liessen die Zahl der Aktiven anwachsen.
Ausserdem
vermied man alles, was den Zorn der Schulkommission hätte
erregen
können; so lehnte man zum Beispiel einen Beitritt zum
Schweizer
Kartell Industria vorerst ab. Ausserdem kam es 1925 zu einer
erneuten Revision
des Comments. Diese Version ist heute noch gültig. 1927
zügelte
man einmal mehr ins "Stammlokal" der Industria Bernensis, das
Restaurant
"Altenberg".
75 Jahre Industria Bernensis
Dieses
Jubiläum
zeigte einmal mehr, wozu Industrianer fähig sind.
Den
Auftakt bildete am Freitag, dem 11. September 1931 ein Couleurball
im Restaurant "zu Webern". Am Samstag Nachmittag war eine Aarefahrt
vorgesehen. Da diese buchstäblich ins Wasser fiel, traf man sich
im
Kornhauskeller zum Abendschoppen. um dann gegen sieben
Uhr zur
eigentlichen
Jubiläumsfeier
in die "Webern" zurückzukehren. Alsda blieb man "bis lange in
die
Nacht hinein". Am Sonntag führte die fröhliche Corona
einen
Katerbummel
zur Brauereiwirtschaft in Worb durch. Und weil dies noch nicht
genug
war,
kehrte man in die Stadt zurück, wo man das Fest mit einem
gemütlichen
Höck
ausklingen liess...
In der Abbildung nebenan ist die
fröhliche Aktivitas aus dem
Jubiläumsjahr
zu sehen.
Die Vorkriegszeit
1932 brachte der Aktivitas und der Altherrenschaft neue Statuten. Es handelte sich aber lediglich um eine redaktionelle Überarbeitung mit Präzisierungen und Ergänzungen. Die Aktivitas wies in der Folge eine stattliche Mitgliederzahl auf, und trotz der eben erfolgten Statutenrevision gerieten sich Aktive und Altherren mehr und mehr in die Haare. Die Alten meinten, dass sich der oft grosse Quantitäten erreichende Bierkonsum an den Sitzungen ohne Nachteil für die edlen Zwecke der Industria wohl etwas reduziert werden könnte. Man debattierte sogar über die Abschaffung des Comments! Die Aktivitas wollte sich aber dieses wesentliche Attribut standesgemässen Verbindungslebens nicht rauben lassen.
In der zweiten Hälfte der 30er
Jahren hatte die Aktivitas
Mühe,
geeigneten Nachwuchs zu finden. Seitens der Altherrenschaft
wurde fest
gehalten, dass die Mitgliederwerbung in erster Linie Sache der
Aktiven
sei. Diese ihrerseits bemängelten die ihrer Ansicht nach zu
geringe
Beteiligung der Altherren bei den Sitzungen. Man legte die
Reibereien
bei
und zog fortan am selben Strick, so dass an der
Jahresversammlung 1938
einen erfreulichen Bestand von 6 Aktiven verzeichnet werden
konnte.
Der 2. Weltkrieg
Diese hoffnungsvolle Entwicklung
wurde durch den Ausbruch des
zweiten
Weltkriegs gestoppt. Altherren wie Aktiven wurden zusätzliche
Pflichten
auferlegt, so dass der Betrieb langsam zerbröckelte. In den
Jahren
1941 und 1942 sind gerade mal 4 Sitzungen der Aktivitas
protokollarisch
festgehalten worden. Gegen Kriegsende aber trugen die ständigen
Bemühungen
um Nachwuchs Früchte indem die Aktivitas auf 7 Köpfe anwuchs.
1945 trat die Industria Bernensis wieder dem Schweizer Kartell
Industria
bei.
Der Freitagsstamm
Die Alt-Industria führte ohne eigentlichen Existenzsorgen ein
ruhiges
Leben in dieser Zeit. Einige Altherren aus dem Grossraum Bern
versammelten
sich schon seit längerem im Restaurant "Della Casa" zum Freitagsstamm.
Materialisiert wurde diese Runde durch einen aus dem Nachlass
von
Werner
Hünerwadel v/o Wadel stammenden Tisch und eine dazu
passende
Lampe. 1973 kam eine geschnitzte Holzfigur dazu.
Vorerst
gab es über diese Treffen keine Aufzeichnungen. Später wurde
ein Stammbuch geführt.
Die 3. Inaktivzeit
Analog zum Geschehen nach dem ersten
Weltkrieg, zerfiel nach dem
zweiten
Weltkrieg die Aktivitas wieder. Dabei zeigte sich deutlich, dass
die
Bemühungen
und die Präsenz der Altherrenschaft alleine nicht zum Erhalt der
Verbindung
genügt. Es braucht auch seitens der Aktivitas den Willen, die
sterile
Selbstgenügsamkeit zu überwinden. So kam es von 1947 -
1955
zur dritten Inaktivzeit.
Die 3. Wiedereröffnung
Das
Jubiläumsjahr 1956 rückte immer näher, und die
Anstrengungen
der Altherrenschaft wurden immer grösser. Im Sommer 1955
löste
sich ein Grüppchen von 7 Gymnasiasten vom Klassenverband ab und
wollten
sich auch ausserhalb der Schule treffen. Unter ihnen war
Bernhard Alder
v/o Hops (der Sohn von AH Arthur Alder v/o Jon), der seine
Kameraden
auf
die Industria aufmerksam machte. Und so wurde im November
1955
die
Aktivitas feierlich und standesgemäss im Restaurant Altenberg
wieder
eröffnet. Das Bild rechts zeigt die Aktivitas von 1956.
100 Jahre Industria Bernensis
Analog
zur
75-Jahrfeier wurde vom 29. Juni bis 1. Juli 1956 das
hundertjährige
Jubiläum begangen. Auftakt bildete auch diesmal ein Couleurball
im Restaurant "zu Webern", organisiert durch die Aktivitas. Nach
der
Zwischenverpflegung
um halb ein Uhr mussten "einige Paare vorzeitig(!) gehen, so
dass diese
nicht mehr in den Genuss der Morgenstunden kamen". Der Festakt
begann
am Samstag Nachmittag mit der Begrüssung der vielen Gäste im
Casino. Es kamen: je eine Delegation des Schweizer Kartells
Industria,
der Industria Lucernensis, der Gymnasia Bernensis, der Gymnasia
Biennensis
und der Bertholdia Burgdorf. Ausserdem waren der
Schulkommissionspräsident
und die Rektoren der Handels- bzw. Realabteilung mit dabei. Dann
formierte
sich der Festzug, um über den Münsterplatz ins
Ratshaus
zu gelangen. Nach diversen Ansprachen daselbst, genoss
männiglich
Abendschoppen und Abendessen in der "Webern", wo anschliessend
auch der
Jubiläumskommers
abgehalten wurde. Natürlich musste man sich nach dem strengen
Kommers
bei einem Bierhöck wieder etwas erholen. Jedenfalls war für
den
Sonntag Nachmittag die traditionelle Aarefahrt
angesagt. Die wurde
diesmal bei einer Beteiligung von etwa 80 Personen durchgeführt.
Anschliessend
traf man sich im Restaurant "Bären" in Ostermundigen zum
Abendessen.
Die Industriafahne
Gestärkt
durch das grosse Jubiläum und dem Wiederaufblühen
der Aktivitas wollte man Ende Fünfzigerjahre diesen frohen
Umständen
auch äusserlich Rechnung tragen, und zwar durch eine
Industriafahne.
1960 wurde der so genannte Fahnenfonds gegründet. Dieser wuchs
durch
diverse Spenden rasch an, so dass man bereits 1961 zum Kauf der
Fahne
schreiten
konnte.
Die Fonds
Gemäss
der
Devise "Freundschaft" wurde 1964 der so genannte Hilfsfonds
gegründet. Die Idee dahinter war, dass es durchaus Industrianer
geben
könnte, die finanziell nicht auf Rosen gebettet sind. Der
Hilfsfonds
sollte in solchen Fällen die Not lindern helfen. Er wurde
regelmässig
durch Überschüsse aus der Altherrenkasse gespeist. Da
glücklicherweise
kein Industrianer auf diesen Fonds je hätte zurückgreifen
müssen,
wurde dieser 2001 aufgehoben.
Alfred Schaetzle v/o Spatz war die Kontinuität der Aktivitas sehr wichtig, zumal die damalige Zahl der Aktiven langsam aber stetig abnahm. Daher gründete er 1972 den so genannten Aktivitasfonds. Ist eine Aktivitas zugegen, so wird sie finanziell aus diesem Fonds unterstützt. Kommt es zu einer Inaktivzeit, soll das Geld in diesen Fonds fliessen. Da sich diese Art der Kontenbewirtschaftung als eher umständlich heraus stellte, wurde 2001 auch dieser Fonds aufgelöst.
Seiner Verbundenheit zur Industria
gab Theo Schmidlin v/o Sprung
besonderen
Ausdruck, indem er 1975 das so genannte Legat Sprung
durch eine
Einmaleinlage eröffnete. Dazu kam noch die so genannte Spendekanne,
die noch heute während der Jahresversammlung zur allgemeinen
Stärkung
der Corona eingesetzt wird. Sprungs Ehegattin, Claire Schmidlin,
unterstützte
in der Folge durch zusätzliche Spenden den Zweck des Legats: Die
Spendekanne
soll immer gut gefüllt sein!
Die 4. Inaktivzeit
Die 68'er gingen aber auch an der
Industria nicht spurlos vorbei.
Eine
Verbindung, die schon länger als 100 Jahre auf dem Buckel hatte,
konnte
ja nur als Inbegriff des Veralteten und Traditionalistischen
gelten.
Logischerweise
hatten die Aktiven jener Generation alle Mühe, neue Mitglieder
zu
werben. Uns so kam es von 1974 - 1985 zur vierten
Inaktivzeit.
125 Jahre Industria Bernensis
Dieses Jubiläum wurde, im Gegensatz
zu den voran gehenden,
recht
schlicht gefeiert. Die ständigen aber erfolglosen Bemühungen
um Neumitglieder seitens des Vorstandes der Altherrenschaft
trugen ja
nicht
gerade zum Aufkommen einer Hochstimmung bei. So fand man sich im
Schlosskeller
zu Spiez ein und anstelle der klassischen Aarefahrt trat eine
Schifffahrt
auf dem Thunersee.
Die 4. Wiedereröffnung
Wie schon bei der
dritten Wiedereröffnung spielte wieder die Alder-Familie
eine entscheidende Rolle. Christian Alder v/o Alpha (Grosskind
von
Arthur
Alder v/o Jon) wollte mit Daniel Grimm v/o Pils im Herbst 1985
einen
Stammtisch
eröffnen. Grossmutter Alder, Ehegattin von Jon, machte
glücklicherweise
die beiden auf die Industria aufmerksam. Der Rest ist schnell
erzählt:
im November 1985 wurde die Aktivitas zusammen mit
Christoph
Sutter
v/o Träf wieder eröffnet und an der Jahresversammlung durch
drei
weitere Aktive verstärkt.
Der Betrieb gestaltete sich in der
Folge recht rege und interessant.
Einige Altherren schöpften durch ihre Vorträge aus dem
reichen
Fundus ihrer Erfahrungen, während die Aktiven eine recht scharfe
Interpretation
des Comments pflegten.
Das Bild rechts zeigt die Aktivitas um 1987.
100 Jahre
Alt-Industria Bernensis
Am 14. September
1991 feierte die Alt-Industria Bernensis ihr 100-jähriges
Bestehen. Man besammelte sich im Gymnasium
Kirchenfeld, wo der amtierende Oberrektor Hohl den
Begrüssungsakt vollzog. Dann folgte ein kurzer Abstecher ins neu
eingerichtete Postmuseum.
Dort
übernahm AH Zurbuchen v/o Pi gleich höchst persönlich
die Führung. Zurück im Gymnasium genoss man den Apéro
und erklomm zusammen mit dem 92-jährigen AH Hans Kästli v/o
Trapp Treppe um Treppe bis auf die Dachterrasse.
Per Extrabus der SVB ging es dann weiter zum Restaurant des
Äusseren Standes. Dort hielt AH René Keller v/o Quart die
kurze Festrede, in der er der Hoffnung Ausdruck gab, dass der
Geist der
Industria noch lange währe.
Bezüglich Stammbetrieb der Altherrenschaft stand in dieser Zeit
eine Änderung bevor. Da nicht mehr alle AHAH jeden Freitag das
Delli besuchen konnten, entschied man, den Altherrenstamm nur noch an
jedem
ersten Freitag im Monat steigen zu lassen. Es wurde gemunkelt,
dass
sich der Wirt des Dellis aus monetären Gründen darüber
freute, sei doch unser Tisch bei den Gästen sehr beliebt.
Die 5. Inaktivzeit
Obschon sich die Aktiven um neue
Mitglieder bemühten, kam es
mit der Matura des
letzen Aktiven zur erneuten Inaktivität, die von
1990 - 1994
dauerte.
Die 5. Wiedereröffnung
Die Altherrenschaft bemühte sich weiterhin um Neumitglieder. Die Idee, Altherren von Studentenverbindungen anzuschreiben, um deren Nachwuchs für die Industria zu gewinnen, hatte Erfolg; Florian Wanner v/o Fuego trat im Oktober 1994 der Verbindung bei. Die Bemühungen um weitere Mitglieder verlief etwas schwierig, wurde aber trotzdem in den beiden Folgejahren durch die Aufnahme dreier Gymnasiasten belohnt.
Doch auch diese Aktivitas konnte
keine weiteren Leute mit Erfolg
anwerben.
Die Geschichte schien sich also zu wiederholen.
Die 6. Inaktivzeit
Und
so kam es, wie
es kommen musste: die Industria Bernensis wurde 1998
wieder inaktiv.
Trotzdem lief in der Industria
etwas. Anlässlich des Maibummels
2002 wurde der neue Standort
des
Archivs eingeweiht. AH Peter Mantel v/o Pedro war
jahrelanger
Hüter unseres Archivs und stets heiterer Gastgeber der
Schaft-Prüfungs-Kommission. AH Hans Graf v/o Ori organisierte
den
neuen Standort in Zollikofen.
Am WK 2003 bewies die alte Dame
Industria, dass sie junggeblieben
ist. AH Erich Wenger v/o Astro hat für sie eine Homepage entworfen, so dass
die
weite Welt unter der Adresse www.industria-bernensis.ch über uns
informiert ist.
150 Jahre Industria Bernensis
Die 6.
Wiedereröffnung
Die Altherrenschaft bemühte sich weiterhin um Neumitglieder. Am
Weihnachtskommers vom 8. Dezember 2007 im Restaurant Webern in
Bern
wurde Florian Gstarz v/o Schuss als neues Mitglied der Aktivitas
aufgenommen.
Die 7.
Inaktivzeit
Doch abermals gelang es nicht, diese Aktivitas zu erweitern. So
ist die
Industria Bernensis seit 2012
inaktiv.
Dies zu ändern, liegt an Dir!
Kurzfassung
1856 Gründung der Zähringia an der
technischen Abteilung
(Unterabteilung
der Realabteilung) der Berner Kantonsschule
1859 Umbenennung zu Industria Bernensis anlässlich der
Gründung
des 1. Schweizer Central-Vereins Industria
1869 Fusion mit der Gymnasia
1870 Neugründung der Neu-Industria Bernensis
1875 Umbenennung zu Industria Bernensis anlässlich der
Gründung
des 2. Schweizer Central-Vereins Industria
1880 Berner Kantonsschule verschmilzt mit Städtischer Realschule
zum Städtischen Gymnasium
1880 1. Inaktivzeit
1884 1. Wiedereröffnung
1891 Gründung der Alt-Industria Bernensis
1901 Gründung des Schweizer Central-Verbandes Industria
1911 Gründung des Schweizer Kartells Industria
1920 2. Inaktivzeit
1922 2. Wiedereröffnung
1932 vorläufig letzte Statutenänderung
1947 3. Inaktivzeit
1955 3. Wiedereröffnung
1956 grosses 100 Jahr Jubiläum
1974 4. Inaktivzeit
1985 4. Wiedereröffnung
1990 5. Inaktivzeit
1994 5. Wiedereröffnung
1998 6. Inaktivzeit
2006 150 Jahr Jubiläum
Kuriositäten
Ende Neunzigerjahre des 19. Jahrhunderts wurde der Gymnasialturnverein gegründet. Von der Schulkommission seiner tugendhaften Gesinnung wegen gelobt, wurde er stets gegen die verruchte Industria ausgespielt. Der Turnverein beging allerdings bald einmal jene Fehler, die man der Industria andichtete; Saufen und Randalieren. Und so kam es, dass drei Viertel der Mitglieder dieses "Turnvereins" aus Invaliden bestand.
1901 wurde der Schweizer Central-Verband Industria gegründet. Der gegenseitige Austausch zwischen den Verbindungen muss aber lausig gewesen sein, denn 1907 fragte die Minerva Basel bei der Minerva St. Gallen an, ob sie nicht zusammen dem Central-Verband beitreten wollen. Der Umstand, dass die St. Galler dies vorerst ablehnten, zeigt auf, dass beide Verbindungen keine Ahnung mehr hatten, dass sie schon seit 6 Jahren im Verband waren.
Bei Quartalsschluss im April 1859 wurde ein Schlussakt abgehalten. Dazu lud man alle Sekundaner zwecks Mitgliederwerbung ein. Lange wurde debattiert, ob man auch die Lehrerschaft einladen sollte. Man beschloss "Alle Lehrer - aber mit einem Unterschiede, der nicht in die Akten gehört" einzuladen. Schliesslich kam gerade mal einer.
Die Alt-Industria war der Aktivitas gegenüber stets hilfsbereit. Ein Beispiel grosszügiger Aufopferung lieferte die Tatsache, dass 1917 die Kasse der Aktivitas mit 87 Franken höher abschloss als diejenige der Altherrenschaft mit 28 Franken.
Einer Semesterrechnung der Aktivitas von 1860 ist zu entnehmen, dass man unter anderem 45 Centimes für eine Freinachtsbewilligung ausgab.
Ein zu Beginn der Sitzungen gern gesungener Cantus fängt mit den Worten an: "Hier sind wir versammelt zu löblichem Tun". 1927 liefert uns ein Sitzungsprotokoll interessante Hinweise auf die Zahl der Anwesenden. Der Präsident eröffnete die Sitzung mit dem Cantus: "Hier bin ich versammelt zu löblichem Tun".
Im Juni 1912 schenkte der Konkneipant Etienne Patru v/o Wanze der Aktivitas eine Biertafel. Möglicherweise hat die Einweihung derselbigen recht lange auf sich warten lassen, denn vom Hersteller der Tafel (Konkneipant Kunz) wurde die Jahreszahl 1909 eingeschnitzt.
Auf einer Photographie aus dem Jahre 1891 können wir erkennen, dass Charles Béguelin v/o Strupf mit anderen zusammen auf der Biertafel vermerkt ist. Da Strupf Jahrgang 1888 hatte, gibt es nun zwei Möglichkeiten; entweder ist die Jahreszahl der Photographie falsch oder aber Strupf landete bereits mit drei Jahren im Bierverschiss.
§ 59 aus dem Biercomment wirkt der
ständigen Sorge
entgegen,
Industrianer könnten am Ende noch verdursten: "Mit dem Reste des
letzen
Glases darf weder vor- noch nachgetrunken werden. Wird dies aus
Vergessenheit
einmal getan, so hat sich der Fehlende nach dem Letzen noch
eins
zu leisten und dieses Glas dann richtig zu trinken. Besitzt er
nicht
Schlauheit
genug, sich so zu helfen, so hat er pro poena einen Ganzen
zu
trinken."